von Jan Berger

Dieses Jahr scheint ein Karl May Jahr zu sein, denn RTL produziert einen aufwendigen Dreiteiler. Passend dazu bringt Europa das O-Ton-Hörspiel heraus und die Ohrenkneifer werfen ebenfalls eine weitere Karl May Produktion, »Unter Geiern«, auf den Markt. Das freut natürlich das May-Herz. Aber lohnt sich das auch für die nicht Fans? Wir werfen einen Blick auf die beiden Erstgenannten.

Wer erinnert sich noch an die legendären Weihnachts-Mehrteiler des ZDF? Z.B. Die Lederstrumpferzählungen, mit Helmut Lange? Ich habe sie geliebt. Und dieses mutige Unterfangen scheint jetzt RTL geglückt zu sein, denn sie wagten sich an einen völlig neu erzählten Winnetou. Nein, nicht nur Winnetou, die ganze Karl May Reiseerzählung um den großen Apachenhäuptling und seinen weißen Bruder Old Shatterhand haben sie mal eben umgestrickt. Dch kommen wir erst einmal zum Inhalt der drei in sich abgeschlossen Teile:

Teil 1 - Eine neue Welt

Mitten im wilden, weiten Amerika: Unbarmherzig betreibt die Central Pacific Railway den Ausbau der Eisenbahnstrecke von der Ostküste bis in den amerikanischen Westen. - quer durch das Land der Apachen. Der Traum vom »goldenen« Land zieht den jungen deutschen Ingenieur Karl May nach Amerika. Dort kämpft er für einen Friedensvertrag zwischen den Apachen und der Railway Company.

Teil 2 - Das Geheimnis vom Silbersee

Der legendäre Schatz der Apachen lockt den verrückten Mexikaner El Màs Loco an. Mit seiner Bande überfällt er im Morgengrauen Winnetous Stamm, um den Goldschatz an sich zu reißen, und nimmt die Schamanin Nscho-Tschi als Geisel, denn sie kennt den Weg zum geheimen See.

Teil 3 - Der letzte Kampf

Bei dem Bau eines Brunnens auf Old Shatterhands und Nscho-Tschis Farm stoßen Winnetou und Old Shatterhand auf eine Ölquelle. Der Gangster Santer Junior, der sie heimlich beobachtet, schreckt vor nichts zurück, um das Öl auf dem Land der Apachen in seinen Besitz zu bringen, und hängt Winnetous Stamm sogar einen Mord an.

Die bisherigen privaten Produktionen glänzten nicht gerade mit herausragender Qualität. Das muss gesagt sein. Unsäglich die Neuvefilmungen von Edgar Wallace. Einzig die Schatzinsel hatte einiges an Qualität zu bieten, auch wenn die Geschichte und die Charaktere stark verändert wurden. Das scheint allerings ein bestimmtes Muster zu sein, wenn man sich dort an klassische Geschichten wagt und sie verfremdet oder modernisiert, je nach Ansichtsweise.

Das Grundgerüst ist geblieben, aber die Protagonisten und die Ausstattung haben sich teilweise stark verändert. So ist Karl May nicht mehr als Lehrer unterwegs, sondern Ingenieur, der auch auch nebenher mal zwei Semester Chemie studiert hat. Sein erster Lehrer, Sam Hawkins, ist jetzt ein Streuner über die Prärien, der eine Schuld bei den Apatschen zu begleichen hat, und immer mal wieder als rettender Engel auftritt. Winnetou ist nicht der strahlende Gutindianer, als den Karl May ihn später aufgebaut hat, sondern wie zu Beginn, z.B. In Old Firehand, ein „einfacher“ Apache. Nscho-Tschi ist nicht nur die Schwester von Winnetou, sondern auch die Schamanin des Stammes. Und es gibt weitere Änderungen der Charaktere. Ich persönlich fand es schade, was aus Mr. Henry geworden ist, da ich ihn immer als Sympathieträger empfunden habe. Aber das sind Änderungen, die für die neuen Geschichten nötig wurden, da ja nur noch das Grundgerüst übrig geblieben ist.

Als Fan sollte man sich aber davon freimachen und einfach die Geschichte genießen. Denn diese ist spannend und gut umgesetzt, die Schauspieler machen ihre Sache wirklich gut, und das Gesamtkonzept weiß zu gefallen. Das Ambienete kann mit jedem guten US-Western mithalten, die Kostüme sind klasse und die Fotografie an manchen Stellen großartig. Hier ist Regisseur Philipp Stölzl ein wirklich guter Wurf gelungen. Einzig die wenigen Anschlussfehler stören etwas, wenn sie einem denn Auffallen. Z.B. (Achtung Spoiler) wenn im dritten Teil, Santer Junior im Saloon von der Seite gezeigt wird und die Kamera die ganze Sitzreihe einfängt. Dann wechselt die Einstellung und plötzlich sitzt neben ihm ein ganz anderer Mann, der von nun an die ganze Szene über an diesem Platz sitzen wird. Wem solche Kleinigkeiten nicht auffallen, wunderbar, die anderen werden sich ein wenig wundern. Das tud der Geschichte aber keinen Abbruch.

Die drei Bösen sind ausgesucht hervorragend. Jürgen Vogel als Rattler ist abgrundtief Böse. Fahri Yardim als El Màs Loco ist völlig Verrückt und Michael Maertens als Santer Junior verschschlagen und ein Arschloch. Wunderbar!

Bei den Hauptpersonen hat man mit Wotan Wilke Möhring genau den richtigen Karl May gefunden. Vor allem im ersten Teil, wenn er noch nicht im Stamm ganz aufgenommen wurde, sieht er streckenweise dem echten sehr ähnlich. Bitte mal die alten Fotos anschauen. Zu Anfang neugierig und idealistisch, bis ihn die Wirklichkeit einholt. Nik Xhelilaj ist ein unbeschriebenes Blatt und kannte die Figur Winnetou angeblich nicht einmal, zumindest Pierre Brice nicht. Er gibt der Figur eine wundervolle Natürlichkeit. Schade finde ich, das Milan Pesche als Sam Hawkins nicht so ist, wie man ihn aus dem Buch kennt. Aber ansonsten ist er genauso liebevoll verrückt. Ebenso kann Iazua Larios als die Shamanin Nscho-Tschi überzeugen. Eine Frau mit starkem Willen und tiefer Empfindsamkeit, wenn sie sich in Shatterhand verliebt.

Die drei Geschichten sind stark verändert und haben nur noch das Grundgerüst der originalen Geschichten, sind aber wundervoll umgesetzt, haben starke Bilder und wirken einfach großartig. Stellenweise denkt man an große Western aus der Vergangenheit und es ist erstaunlich das eine Fernsehproduktion so etwas leisten kann. Sehr erfreulich das RTL hier keinen Murks gebaut hat, sondern eine wirklich tolle Produktion abgeliefert hat. Die Deutschen könnten Western, wenn es genügend mutige Leute und das Geld dafür gäbe.


Original TitelWinnetou - Der Mythos lebt
Erscheinungjahr2016
Verlag/LabelUniversum Film GmbH
AutorJan Berger
ProduzentRat Pack Filmproduktion
RegiePhilipp Stölzl
MusikerHeiko Maile
ISBN/AsinB01LYN56MJ
Lauflänge334